Bei uns brennt Licht

 Aus dem Programm: KLOPFZEICHEN -
Geschichten aus dem Gestrüpp des Alltags​

In unserer Straße brennt Licht. Nicht nur die Straßenlaternen schalten sich an, sobald die Sonne hinter einer Wolke verschwindet – übrigens ein Verdienst von Rainer, der in Nummer 4 wohnt und Amtsleiter bei der örtlichen Straßenmeisterei ist – nein, auch in den Häusern ist alles hell erleuchtet, tagsüber und besonders zu Nachtzeiten. Trotzdem sparen wir unglaublich viel dadurch. Und das kam so:
Vor etwa zwei Jahren ist schräg gegenüber in Nummer 11, einem etwas in die Jahre gekommenen, kleinen Fachwerkhaus ein neuer Nachbar eingezogen. Er ist etwas anders als wir anderen Männer. Wir anderen Männer, das sind meine männlichen Nachbarn und ich, speziell die zwischen 35 und 50.

Da ist zum Beispiel Werner aus Nummer 8. Er macht das, was ein normaler Mann, insbesondere einer der Spezies “Hausherr” so macht. Wenn er einen Raum verlässt, löscht er das Licht, wenn er duscht, macht er während des Einseifens das Wasser aus und seine veralteten Klamotten trägt er bei der Gartenarbeit auf. Margit, seine Frau verdreht gerne und oft die Augen.

Auch Dieter aus Nummer 5 ist aus dem selben Holz geschnitzt. Wenn er das Auto vom Eis frei kratzt, macht er das natürlich ohne dabei den Motor laufen zu lassen. Der Rasen wird nur bei äußerster Trockenheit gesprengt und ein trockenes Brot kann man auch mal toasten und dann noch essen. Seine Frau wirft ihm vor, ein Spießer zu sein.

Der neue Nachbar ist da ganz anders. Er lässt das Licht brennen, manchmal die ganze Nacht über. Auch seine Haustür steht immer offen, d. h. sie ist nie abgeschlossen. Einmal ließ er sogar seinen Rasensprenger laufen, obwohl es angefangen hatte zu regnen. Seine unkonventionelle Art kommt wohl ganz gut an bei den Frauen in der Nachbarschaft, fast jede Frau im mittleren Alter, mitunter auch deren fast erwachsenen Töchter, ist nach spätestens zwei Wochen da gewesen, um sich beim neuen Nachbarn um- und ihn anzuschauen, natürlich mit dem Vorwand, ihn in der Nachbarschaft willkommen zu heißen. Da wurde Brot und Salz vorbeigebracht und Sekt geschlürft.
So manche Frau hat nach einem Besuch beim neuen Nachbarn Frühlingsgefühle bekommen. Die siebzehnjährige Tochter von Jürgen und Andrea, die in Nummer 3 wohnen, soll da nicht nur ihren Ring verloren haben. Margit, die Frau von Werner wohnt jetzt beim neuen Nachbarn, sie hat sich wohl in ihn verliebt.

Wir anderen Männer in unserer Straße haben uns jetzt geändert. Wir lassen das Licht brennen, duschen dreimal am Tag, lassen den Motor beim Scheibenkratzen warmlaufen und kaufen jeden Tag ein frisches Brot. Denn eine Scheidung würde uns viel teurer zu stehen kommen. Anwaltshonorare, zweites Auto, eigene Wohnung, neue Möbel, Fahrtkosten zum Abholen der Kinder, Alimente. Dann lieber die paar Euro mehr für Wasser und Strom.

Werner, der von seiner Frau verlassen wurde, ist jetzt weggezogen und das Haus ist verkauft worden, ebenfalls an einen alleinstehenden Herrn im besten Alter. Letzte Woche haben die Frauen ein geheimes Treffen gehabt. Ich weiß davon durch meine Tochter, die erst sieben ist und sich nicht für ältere Herren aus der Nachbarschaft interessiert. Wahrscheinlich haben sie den neuen Hauseigentümer meistbietend versteigert oder unter sich zu gleichen Teilen aufgeteilt.

Er soll ein erfolgreicher Werbefachmann sein, er arbeitet bei der Agentur, die mit dem Spruch “Geiz ist Geil” ganz Deutschland zum Rechnen gebracht hat.

Unsere Variante dieses Slogans könnte lauten: “Sparsamkeit macht einsam!” Also Männer, lasst lieber das Licht an!

© Uwe Jung

              Rheinhessische Landschreiber