Beton

 Aus dem Programm: BETON –
Geschichten von den Baustellen des Lebens

Volker erinnerte sich daran, wie stolz sein Vater erzählt hatte, wie er mit ein paar Freunden das Haus gebaut hatte, alles selbst gemacht von der Bodenplatte bis zum Schornstein. Beton war das vorherrschende Material. Bodenplatte aus Beton, Garageneinfahrt, Treppe vor der Haustür, Terrasse, alles aus Beton. Leider kam Volker dabei etwas zu kurz, er konnte sich nicht erinnern, dass sein Vater jemals mit ihm was gespielt oder ihm ein Buch vorgelesen hatte. So war das in den 70ern, Beton, Beton und zur Abwechslung mal Waschbeton.

“Wie läufst Du denn schon wieder rum?” Volker traute seinen Augen nicht. Jens stand vor ihm, seine in leuchtenden Farben gehaltene Kleidung würde Volker am ehesten als “schrill” bezeichnen, die langen Haare hingen ihm ins Gesicht.
“Und wo gehst Du hin?”
“Zum Rave!” erwiderte Jens, sichtlich genervt.
“Wohin?” fragte Volker.
“Zum Rave, das verstehst Du sowieso nicht, tschüss.” Volker wollte noch etwas erwidern, doch sein Sohn hatte sich schon umgedreht und ging davon.

Volker schüttelte den Kopf und machte sich wieder an die Arbeit, schaltete den Kompressor an und nahm den Presslufthammer zur Hand. Die Hälfte hatte er etwa, die Hälfte einer Garageneinfahrt, drei Meter breit und etwa fünf Meter lang, aus Beton. Er würde sicher noch ein paar Stunden brauchen um den Rest abzureißen. Kräftig drückte er den Hammer nach unten, immer wieder, bis er auf einmal stockte, da war doch was, etwas Buntes.

Was war das denn? Er bückte sich, um sich das, was ihm aufgefallen war näher anzusehen, konnte jedoch nicht genau erkennen, um was es sich handelt. Vorsichtig legte er den bunten Gegenstand mit Hammer und Meißel frei. Schließlich erkannte er, was er da gefunden hatte, obwohl er es lange nicht mehr gesehen hatte. Er legte den Hammer zur Seite, bückte sich und hob den kleinen Gegenstand auf, es war ein Splitter, schwarz und mit Rillen und in der Mitte ein roter Kreis. Mühevoll konnte er durch den Betonschleier entziffern: The Ramones – Leave Home. Seltsam, wie kam das denn hierher?

Erinnerungen wurden wach: Volker als 16jähriger, wie er Josch und seine Freunde kennenlernte, Punks der ersten Stunde. Er fand es cool, wie sie rumhingen und Null Bock hatten. Irokesenfrisuren und Ketten trugen sie, Springerstiefel und Sicherheitsnadeln, durch die Haut gestochen. Sie trafen sich immer am Bahnhof in der Kreisstadt, er fand schnell Anschluss, wurde bald einer von ihnen, doch zu Hause trat er zunächst noch normal auf. Nach ein paar Monaten traute er sich dann mit seinen neuen Klamotten und neuer Frisur nach Hause. Sein Vater war natürlich entsetzt, wischte ihm eine und drohte ihm. Doch Volker ließ sich nicht so leicht einschüchtern. In den nächsten Monaten konvertierte er sozusagen zur neuen “Religion”. Er kaufte sich Platten von den Sex Pistols, The Clash und den Ramones, hängte die Poster seiner neuen Idole an die Wand und schaffte sich noch mehr Klamotten an. Auseinandersetzungen mit seinem Vater waren an der Tagesordnung. Seine Mutter versuchte immer wieder, die Wogen zu glätten, doch sie stand auf verlorenem Posten.

Alles endete damit, dass Volker eines Tages nach Hause kam und sein Zimmer nicht wiedererkannte, die Poster waren weg, ebenso der Plattenspieler und die LPs. Ein Wort ergab das andere und schließlich packte er ein paar Sachen und zog aus. Er konnte sicher bei einem Kumpel in der Stadt unterkommen. Das funktionierte auch und ein paar Monate später lernte er Sabine kennen, die so anders war, sie war kein Punk und doch so ganz nach seinem Geschmack. Kaum ein halbes Jahr später war sie schwanger.

Eigentlich hatte er das Haus gar nicht haben wollen, zu viele negative Erinnerungen hingen daran und hatten sich wie ein Schwamm in die Wände gesogen. Doch dann war Sabine unerwartet zum zweiten Mal schwanger geworden und sie war der Meinung, die Wohnung in der Stadt sei zu klein, mit einem pubertierenden 15jährigen und nun bald auch noch einem Säugling. Er wollte eigentlich nie zurück kommen in dieses Kaff auf dem Land, doch ein Haus in der Stadt war nahezu unerschwinglich. Dann war sein Vater gestorben und er zum ersten Mal nach fast 20 Jahren wieder heimgekehrt. Seine Mutter hatte sich riesig gefreut, obwohl der Anlass ein trauriger war.

Nach wochenlangen Diskussionen mit Sabine und seinem Sohn war er schließlich so halb überzeugt. Seine Mutter würde die Wohnung und er mit seiner Familie das Haus übernehmen. Beim Ausräumen des Kellers bereute er es zum ersten Mal. Dort fand er das Werkzeug, mit dem der ganze Beton hergestellt worden war. Kellen und Schippen, Hämmer und Zangen, Eimer und Zollstöcke. Er warf alles auf die Straße und traute seinen Augen nicht, als es keine Stunde später bereits verschwunden war. Fahrende Alteisenhändler gab es hier auf dem Land. Er war im Mittelalter angekommen.

Volker lieh sich einen Presslufthammer aus und fing am ersten Urlaubstag an. Die Treppe vor dem Haus, zwölf Stufen, Beton, drei Tage brauchte er dafür, dann war die Einfahrt vor der Garage dran. Er wollte das alles anders machen, Naturstein war sein Favorit, Trockenmauern aus Sandstein würde er errichten und Gehwege aus Basalt, Granit und Porphyr.

Sabine meinte immer, er solle doch einen Bauunternehmer beauftragen, der hätte das ganze mit einem Bagger in ein paar Tagen weggerissen, doch Volker wollte das nicht, nein so billig sollte der Alte nicht davon kommen. Mit den eigenen Händen wollte er das zerstören, was seinen Vater jahrelange Arbeit und viel Schweiß gekostet hatte. Er fand es nicht mehr als Recht, sich auf diese Art und Weise für eine zerstörte Jugend zu revanchieren.

An diesem Tag fand er noch mehr, einen Nietengürtel, weitere LPs und den Plattenspieler, alles einbetoniert in die Garageneinfahrt von einem Mann, der es nicht ertragen konnte, dass sein Sohn so aus der Art geschlagen war und der keine Widerrede duldete.

Jens kam erst am nächsten Morgen nach Hause, als Volker schon wieder an der Arbeit war. Der Junge war in der letzten Zeit schon komisch geworden, trug diese Klamotten und hörte Musik, die er House nannte. Volker würde mal mit ihm reden müssen. Als Jens nahe genug war, fing er an: “Jens, was denkst Du Dir eigentlich?” In diesem Moment fiel sein Blick auf den Gürtel, die Bruchstücke der schwarzen Tonträger und den zerstörten Plattenspieler. Er hielt inne und wusste nicht weiter.
“Was is?” Jens stand vor ihm, die grellen Kleider hingen zerknittert an ihm und sein Gesicht wirkte sehr müde.

“Jens, ich wollte nur ...”, er zögerte kurz, “Ich wollte Dich nur fragen, wie es war.” Jens schaute ihn ungläubig an.

“Gut, Danke der Nachfrage!” Ihre Blicke trafen sich und sie schauten sich so lange in die Augen, wie seit Monaten nicht mehr!

“Bis später!” sagte Jens und Volker schaute ihm hinterher, wie er durch den Schutt der abgerissenen Treppe zur Haustür ging. Dann hob er ein weiteres Bruchstück einer LP auf, las “The Clash - London calling”  und sang leise vor sich hin “Come out of the cupboard, you boys and girls ...”

Quellen: The Clash – London Calling

© Uwe Jung

              Rheinhessische Landschreiber