Landschreiber-Lesung “1664”

11.06.2014  in der  Scheier 1664

Ulla Grall – Vor langer Zeit in einem kleinen Dorf
in der Gegend, die man jetzt Rheinhessen nennt

„Luise, bring dene Männer mal was zu trinke!“, die Stimme der Alten tönte schrill über den Hof. „Ja, gleich, Gode“, kam von einer hellen, jungen Stimme die Antwort.

Die drei Männer wischten sich den Schweiß von der Stirn und blickten erwartungsvoll auf die schlanke Gestalt, die mit einem großen, grauen Krug in der einen und einem Korb in der anderen Hand herankam.
„Schaffe macht Dorschd, was Ludwig?“ meinte der eine der drei und wandte sich dem hoch gewachsenen Zimmermann zu. Der Angesprochene nickte, setzte seinen Hut ab, wischte sich den Schweiß von der Stirn und nahm einen der tönernen Becher aus dem Korb, den die junge Frau am Arm trug.

„So en schene Mundschenk haste sicher sogar da net gehabt, wo de jetzt herkimmst!“, scherzte der Mann.

Ludwig winkte ab und hielt Luise den Becher hin. Die goss ihn randvoll und Ludwig nahm sofort einen großen Schluck.

„Bah, was is das dann für Brüh!“, rief er aus.

„Woi mit Wasser“, antwortete das Mädchen schnippisch. „Ihr sollt ja noch was schaffe heut.“

Sie nahm aus dem Korb Brot und Käse und reichte den Männern die Mahlzeit.

„Da bisde bestimmt besseres gewöhnt“, schaltete sich der dritte der Männer ein. Er ließ sich auf einem der Balken nieder und zupfte Luise am Rock.

„Weisde wo der grad herkimmt?“, fragte er und deutete mit dem Daumen auf Ludwig. „Der kimmt gradewegs vun Versailles!“

„Ach was, Hannes, gradewegs“, gab der junge Zimmermann zurück. „Ich war vorher noch in Straßburg, wo se grad die große Brauerei am Baue sin. Un bin dann erst dorchs Elsass un dorch die Palz. Überall da bin ich e paar Tag geblibbe, wo se grad en gute Holzhandwerker gebraucht habbe.“

„Abber vorher in Versailles“, beharrte Hannes. „Beim französische Könisch!“

Luise lachte und sah den jungen Zimmermann an: „Stimmt das? Bist du in Frankreich gewese? Als fahrender Handwerksborsch?“

„Nix Handwerksborsch. Ich bin Meister!“

„Komm, geh fort. Meister – in dei´m Alter“, zweifelte Luise und wandte sich ab.

Als sie über den Hof zurück ins Haus ging, sahen ihr die drei Männer nach.
„Sauber“, murmelte Hannes und der andere nickte.

„Ich kenn des Luis´che seit se Kind is. Die sieht net nur gut aus, die hat aach was im Kopp. Un ihrn Vadder is de Ärmste net, aach wenn er bloß so e klä Scheier baue lässt. Wer die emol kriet, kann von Glück sage!“

„Abber da haste kä Chance“, wandte Hannes ein.

Ludwig sprang auf. „Ich schunn!“, behauptete er munter. „Un jetzt hopp, un weitergeschafft. Die Scheier soll ja net erst an Weihnachte stehe!“

Der junge Zimmerer und seine beiden Helfer sägten und hobelten, dass die Späne flogen.

Bei Einbruch der Dämmerung standen schon die Seitenwände. Sauber gefügtes Fachwerk aus kräftigen Balken.

„Bis Moije“, grüßten die beiden als sie in den dunklen Gassen des Dorfes verschwanden, um in ihren Tagelöhnerhäuschen die Nacht zu verbringen.
Zum Schlafen stieg Ludwig die steile Treppe hinauf, die in das winzige Kämmerchen unter dem Dach führte, wo er für die Zeit des Scheunenbaus Unterkunft gefunden hatte.

„Von wegen, kein Meister“, murmelte er und fischte aus seinem spärlichen Gepäck die beiden Gegenstände, die seine kostbarsten Besitztümer darstellten: Der kleine Beutel mit Münzen, sein Lohn aus fast vierjähriger Wanderschaft und, er musste kichern, als er daran dachte, den beiden Goldmünzen, die ihm sein Aufenthalt am Hofe König Ludwigs eingetragen hatte. Eine davon hatte ihm die Comtesse Louise de La Vallière in die Hand fallen lassen, die andere war vom König selbst …

Vor allem aber, in einer ledernen Hülse sicher verwahrt, seinen Meisterbrief und die Urkunde über die Übertragung von Haus und Grundstück in der Mainzer Korbgasse.

Ich bin ein reicher Mann, dachte er, streckte sich auf dem Strohsack aus, faltete die Hände im Nacken und träumte vor sich hin.

- Das wäre jetzt noch das Tüpfelchen auf dem i, gleich mit einer
Meisterin heimzukommen.

Mit dem Meisterbrief, und jetzt sogar einem eigenen Haus, würde es sicher nicht schwer als Zimmermann und Schreiner in einer Stadt wie Mainz Fuß zu fassen. Der gute Onkel Simon.

Dass er ihm das Haus vererben würde! Freilich war der ältere Bruder seines Vaters auch sein Taufpate, kinderlos und schon lange Witwer… Den Brief, in dem er von der Erbschaft erfahren hatte, war ihm bis an den französischen Hof hinterher geschickt worden. Ein kleines Vermögen hatte das Porto gekostet, aber das war es wert gewesen. Trotzdem hatte er sich Zeit gelassen mit der Heimreise …

Die Eltern würden staunen, vor allem, wenn er mit Luise…
Die Augen fielen ihm zu.


Am nächsten Morgen regnete es in Strömen und ans Hochziehen der Dachbalken war nicht zu denken. Ludwig saß verdrossen in der Küche und löffelte seinen Brei. Seine Miene hellte sich auf, als Luise hereinkam, sich bei ihm am Tisch niederließ und Äpfel zu schälen begann.
„Die Falläppel braucht mer net verderbe zu lasse“, sagte sie. „Des gibt en prima Äppelbrei.“

Auch noch eine gute und sparsame Hausfrau, dachte Ludwig und strahlte sie an.

„Ich finde, wir zwei täten gut zusammenpassen“, meinte er augenzwinkernd.

Luise reagierte mit gewohnter Schnippigkeit: „Ach, un wie kommst du da druff?“

„Ich heiß´ Ludwig, wie der König von Frankreich, Ludwig der 14., Louis quatorze. Und du heißt Luise, wie seine Geliebte Louise de La Vallière…“
Luise sah ihn mit großen Augen an „Sag bloß…“ staunte sie. „Seine Geliebte! Und du weißt das?!“

„Das weiß bei Hof jeder. Das ist ein offenes Geheimnis.“

„Aber der König ist doch sicher verheirat´?!“

„Ja natürlich, aber er hat immer eine Maitresse, mindestens eine. Das ist am französischen Hof so üblich. Und Madame de La Vallière liebt er über die Maßen. Ich hatte Gelegenheit das selbst festzustellen!“ Er lachte laut.
„Du? Feststellen?“, Luise klang verärgert. „Die Franzose habbe kä Moral!“
Aber neugierig war sie doch. Und so erzählte Ludwig von seiner Zeit in Versailles. Von den rauschenden Festen im riesigen Park, wo er mit anderen Zimmerleuten gemeinsam die Kulissen für die großen Theateraufführungen gebaut hatte. Von dem Abend, als er, versteckt hinter den Bühnenbildern, im Schatten der Bäume verborgen, den König hatte tanzen sehen.

„Ich sag dir, der kann tanzen! Keiner seiner Adligen kann es da mit ihm aufnehmen. Und er ist strahlend wie die Sonne! Die Damen schmelzen nur so dahin…“

Schwärmerisch zeichnete er eine tänzerische Bewegung in die Luft.
Von den ständigen Umbauten im Schloss erzählte er, wo es für all die Höflinge trotz seiner Größe viel zu eng war. Und von der Nacht, als er ganz eilig in die Gemächer der de La Vallière gerufen wurde:

„Zufall, dass ich noch im Hof bei den Ställen war. Eine Deichsel war gebrochen und ich sollte sie reparieren.“

„Das kannst du auch?“ unterbrach ihn Luise.

„Ich kann alles was mit Holz zu tun hat“, erklärte Ludwig stolz. „Aber hör weiter! Am Bett der Dame war ein Pfosten abgebrochen. Ich hab ihn im Handumdrehen repariert. Seine Majestät soll sehr feurig sein…“, er grinste und Luise schlug die Hände vor den Mund und wurde rot.

„Von der de La Vallère erhielt ich ein Goldstück und am nächsten Tag überreichte mir der Haushofmeister meinen Meisterbrief. Unterschrieben vom König selbst und mit seinem Siegel. Zusammen mit einem weiteren Goldstück. Voilá!“

Luise kam aus dem Staunen nicht heraus.

„Und warum bist du da fort?“, fragte sie.

„Mein Pate hat mir sein Haus in Mainz vererbt. Da stamm´ ich her, da leben meine Eltern und da will ich mich niederlassen. Ich denke, die Gilde der Zimmerer in Mainz wird meinen französischen Meisterbrief schon anerkennen. Ich bin schließlich kein armer Schlucker!“

Er sah Luise tief in die Augen.

„Schöner wäre es natürlich, wenn ich auch eine Braut hätte…“, er zögerte und fuhr dann mit fester Stimme fort:

„Darum frage ich dich, Luise, willst du meine Meisterin werden?“

Er sank vor ihr auf die Knie und griff nach ihrer Hand. Äpfel kollerten zu Boden.

Luise wurde flammend rot.

„Ja“, stammelte sie. „Ja!“ und rannte hinaus.


Am nächsten Tag bekam Ludwig seine Luise nicht zu Gesicht. Wo sie denn sei, fragte er sie Alte, die statt ihrer in der Küche werkelte.

„Die is mit de Gäns´ enaus un kimmt vor Nacht net ham“, war die mürrische Antwort.

Achselzuckend nahm Ludwig seine Arbeit auf. Die beiden Helfer aus dem Dorf bekamen seine schlechte Laune zu spüren. Aber das Dach der Scheune war bald aufgeschlagen. Die Zimmermannsarbeit war getan, die beiden ortsansässigen Helfer wurden entlohnt, Ludwig sammelte sein Werkzeug zusammen und saß dann im Hof. Eigentlich sollte nun ein Richtfest gefeiert werden. Aber ihm war gar nicht nach Feiern zumute. Am nächsten Morgen würde er sich nach Mainz auf den Weg machen.

Spät am Abend jedoch, als Ludwig grade im Begriff war die Treppe zu seinem Kämmerchen hinauf zu steigen, kam plötzlich Luise aus der Küche und rief ihn zurück: „Mein Vadder will mit eich e Wörtsche redde.“


Das Richtfest fand dann doch statt und war zugleich die Verlobungsfeier von Ludwig und Luise. Und so kam es, dass der Zimmermann Ludwig wirklich mit seiner jungen Meisterin das Haus in der Mainzer Korbgasse beziehen konnte.

Und wenn sie nicht gestorben sind…

Nein, natürlich sind die beiden längst gestorben. Es ist ja schon so lange her, dass sich diese Geschichte zugetragen hat.

Aber Sie können mir ruhig glauben, dass es eine wahre Geschichte ist, denn an einem Balken dieser Scheune hier kann man das Jahr ablesen: 1664.

© Ulla Grall

              Rheinhessische Landschreiber